Naturkatastrophentrends und Klimawandel Mögliche Auswirkungen der Klimaänderung auf Volks- und Versicherungswirtschaft

Die in den letzten Jahrzehnten beobachtete Zunahme großer Naturkatastrophen beunruhigt in steigendem Maße Öffentlichkeit, Politik und Wirtschaft - hier zuerst die Versicherungsbranche, die einen substantiellen Teil der Schäden abdeckt. Ein Einfluss der sich abzeichnenden Klimaänderung auf die Häufigkeit und Schwere von Naturkatastrophen ist bis heute nicht beweisbar, wird aber durch zahlreiche Indizien nahegelegt. In welchen Bereichen mit schwerwiegenden Auswirkungen zu rechnen ist und welche Gegenmaßnahmen notwendig bzw. denkbar erscheinen, wird in dem folgenden Beitrag aus der Sicht eines weltweit agierenden Rückversicherers untersucht.

Große Naturkatastrophen haben in den letzten Jahren außerordentlich schwere Schäden angerichtet. Vor 1987 richtete nur ein einziges Ereignis, der Hurrikan "Alicia" 1983, versicherte Schäden in Höhe von mehr als 1 Mrd. US-$ an. Seit 1987 waren es dann insgesamt 28 Ereignisse, davon allein 26 seit 1990. Der Hurrikan "Andrew" bildet dabei den absoluten Spitzenreiter mit versicherten Schäden von rund 17 Mrd. US-$, die allerdings noch ein Mehrfaches höher gewesen wären, wenn "Andrew" zwei Volltreffer in Miami und New Orleans gelandet hätte. Nicht viel anders war es auch bei dem Erdbeben 1994 in Kalifornien, das ebenfalls den Großraum Los Angeles nur am Rande betroffen hatte und deshalb trotz versicherter Schäden von mehr als 15 Mrd. US-$ nur als "Warnschuss" oder bestenfalls als "Streifschuss" gelten kann, ebenso wie bei dem Erdbeben 1995 in Kobe/Japan. Dort entstanden immerhin volkswirtschaftliche Schäden in Höhe von über 100 Mrd. US-$.



Die in der Abbildung dargestellte Schadenentwicklung seit 1960 verdeutlicht den drastischen Anstieg der Katastrophenschäden in den letzten Jahren - eine Entwicklung, die den Versicherern schon zum Ende dieses Jahrzehnts jährliche Schadenbelastungen aus großen Naturkatastrophen in der Größenordnung von 25-50 Mrd. US-$ (in heutigen Werten) bescheren wird. Die Zunahme gegenüber den 60er Jahren beträgt - inflationsbereinigt - in den letzten 10 Jahren für die volkswirtschaftlichen Schäden das Achtfache und für die versicherten Schäden das Fünfzehnfache (siehe Tabelle).


            Große Naturkatastrophen 1960 - 1999
            Dekade
            1960 - 1969
            Dekade
            1970 - 1979
            Dekade
            1980 - 1989
            Letzte 10 Jahre
            1990 - 1999
            Faktor
            80er : 60er
            Faktor
            Letzte 10 : 60er
            Anzahl
            27
            47
            63
            87
            2,3
            3,2
            volkswirt-
            schaftliche
            Schäden
            69,0
            124,2
            192,9
            574,3
            2,8
            8,3
            versicherte
            Schäden
            6,6
            11,3
            23,9
            106,4
            3,6
            16,1
Schadenangaben in Mrd. US-$ (Preisniveau 1999) © Münchener Rück 1999

Diese Angaben beziehen sich auf sog. "große" Naturkatastrophen; die übrigen Elementarschadenereignisse, von denen die Münchener Rück weltweit jährlich mehrere Hunderte erfasst, erhöhen das Gesamtschadenvolumen mindestens auf das Doppelte.
Die Schadenzunahme wird zweifellos zu einem bisher dominierenden Teil von steigenden Werten bzw. versicherten Haftungen, insbesondere auch in stark exponierten Regionen, verursacht. Außerdem zeigt sich immer wieder bei Naturkatastrophen, dass die Schadenanfälligkeit von Bauwerken und Infrastrukturen trotz aller Bauvorschriften und technischen Weiterentwicklungen eher größer als kleiner geworden ist. Hurrikan "Andrew" und die Erdbeben in Kalifornien und Japan belegen dies ganz deutlich. Gleichzeitig haben sich aber die Indizien verstärkt, dass die sich abzeichnende Klimaänderung immer größeren Einfluss auf die Häufigkeit und Intensität von Naturkatastrophen gewinnt. Da sind einerseits die großen Sturmkatastrophen der letzten Zeit, die fast jedes Jahr für neue Schadenrekorde sorgten, und andererseits die zahllosen Überschwemmungs-, Unwetter-, Dürre- und Waldbrandkatastrophen, die heute häufiger als jemals zuvor aufzutreten scheinen.

Fakten

Zunächst einige Fakten zu den Veränderungen in unserer Atmosphäre und auf der Erde:
  • Unbestritten hat die Konzentration verschiedener klimawirksamer Spurengase in der Atmosphäre signifikant zugenommen, und als Ursache kommt nur die erhöhte Freisetzung dieser Gase durch den Menschen in Frage. Dies gilt vor allem für das Kohlendioxid, das bis heute rund die Hälfte zum anthropogenen Treibhauseffekt beiträgt. Die andere Hälfte kommt von den Treibhausgasen Methan, Lachgas, Ozon und den FCKW's, den Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffen, die auch als "Ozonkiller" bekannt wurden. Alle diese Gase haben sich dank einer meist sehr langen Lebensdauer in der Atmosphäre angesammelt und somit ihre Konzentration merklich erhöht.
  • Die Trübung der Luft nimmt weltweit, am stärksten aber in den Industrieregionen, zu. Dafür sind die sog. Aerosole, winzige Staub-, Ruß- und Sandpartikel oder auch Tröpfchen aus kondensierten Abgasen wie Schwefeldioxid, verantwortlich, da sie das Sonnenlicht stärker streuen und so die Atmosphäre "milchiger" erscheinen lassen. Gleichzeitig unterstützen die Aerosole das Kondensieren von Wasserdampf und damit die Bildung von Wolken, die noch dazu weißer erscheinen. Dadurch wird mehr Sonnenlicht von der Oberfläche der Wolken in den Weltraum zurückgestrahlt und es gelangt weniger kurzwellige Strahlung zur Erdoberfläche.
  • Weltweit wird ein starkes Abschmelzen der Gebirgsgletscher beobachtet, das in einzelnen Regionen bereits dramatische Ausmaße angenommen hat. So haben die Gletscher der Alpen seit ihrem letzten Höchststand Mitte des letzten Jahrhunderts rund 1/3 ihrer Fläche und die Hälfte ihrer Masse verloren. Bei der derzeitigen Abschmelzrate werden bis Mitte des nächsten Jahrhunderts von den einst mächtigen Alpengletschern nur noch klägliche Reste übrig sein, mit der Konsequenz, dass Europa seinen größten Trinkwasserspeicher verliert.
  • Das Abschmelzen der Gletscher lässt den Meeresspiegel ansteigen; hinzukommt die thermische Ausdehnung des Meerwassers bei steigenden Wassertemperaturen. Insgesamt beträgt der Meeresspiegelanstieg in diesem Jahrhundert etwa 10 cm, ein Betrag, der gering erscheint, aber, wenn man ihn als Vorboten sieht, zu Besorgnis Anlass gibt.
  • Auch der globale Temperaturanstieg von etwa 0,5 - 0,7 Grad in diesem Jahrhundert wirkt zunächst harmlos; erst wenn man berücksichtigt, dass die Unterschiede zwischen den Kalt- und Warmzeiten der jüngeren Klimageschichte im Mittel nur etwa 5 Grad betrugen, gewinnt diese Erwärmung an Gewicht.
  • Höhere Ozeantemperaturen führen zu einer exponentiell höheren Verdunstung und zu einem entsprechend höheren Wasserdampfgehalt in der Atmosphäre. Dadurch wird die Entstehung hoher Niederschlagsintensitäten und tropischer Wirbelstürme gefördert.
  • Die Erwärmung ist keineswegs gleichmäßig über die Erde verteilt; vielmehr gibt es zahlreiche Gebiete, die sich sogar abgekühlt haben. Dadurch haben sich mancherorts, wie über dem Nordatlantik, die Temperatur- und auch die Luftdruckgegensätze verschärft, mit der Folge, dass in den letzten Jahrzehnten hier deutlich mehr Sturm- und Orkantiefs beobachtet wurden.
    Viele andere Veränderungen haben sich auf der Erde vollzogen, wie z.B.
    • die bisher wenig beachtete, großflächige Zerstörung der Böden durch Entwaldung, Überweidung und andere menschliche Aktivitäten,
    • die auffälligen Veränderungen in Fauna und Flora - vom vermehrten Überwintern ehemaliger Zugvögel in unseren Breiten bis zum Waldsterben - und nicht zuletzt auch die
    • Zunahme tropischer Infektionskrankheiten außerhalb ihrer früheren Verbreitungsgebiete.

    Die Klimaänderung ist auch hier in der Regel nur einer von vielen Faktoren in dem großen Komplex der Veränderungen von Umwelt- und Lebensbedingungen.


    Prognosen

    Welche Zukunft sagen die Klimatologen voraus? Die folgenden Prognosen stützen sich auf das "Intergovernmental Panel on Climate Change", kurz IPCC, da die vielen namhaften, in diesem Gremium zusammenarbeitenden Klimatologen aus aller Welt bei ihren Aussagen vermutlich weniger leicht Irrtümern unterliegen als die einzelnen Wissenschaftler, die z.T. sehr gegensätzliche Meinungen vertreten.
    Die ersten beiden IPCC-Berichte von 1990 und 1995 extrapolieren die künftige Entwicklung anhand einer Reihe von Szenarien, von denen das naheliegendste, das "business-as-usual", meist auch gleich als sehr pessimistisch angesehen wird. Aber ist es das wirklich? Muss nicht vielmehr angesichts der steigenden wirtschaftlichen Probleme in den bevölkerungsreichsten Regionen der Dritten Welt damit gerechnet werden, dass die Freisetzung von Treibhausgasen künftig noch rascher ansteigt als bisher?
    • Bis zum Ende des nächsten Jahrhunderts wird sich laut IPCC die globale Mitteltemperatur um mehrere Grad erhöhen, wobei die untere Kurve aus den vorher genannten Gründen unrealistisch erscheint. Der Unsicherheitsbereich reicht von etwa 1,5 - 4 °C. Das bedeutet im Mittel einen globalen Temperaturanstieg um etwa 0,3 °C pro Jahrzehnt und damit eine starke Beschleunigung gegenüber den bisher beobachteten rund 0,5 °C in 100 Jahren. Die Beschleunigung ist so groß, dass sich voraussichtlich zahlreiche Ökosysteme nicht schnell genug anpassen können.
    • Die schon erwähnte thermische Trägheit der Ozeane und auch der Puffereffekt der Schneefallzunahme in der Antarktis lassen den Meeresspiegel mit etwa 50 +/- 30 cm in 100 Jahren voraussichtlich etwas langsamer ansteigen als früher angenommen. Dies ändert nichts am dramatischen Abschmelzen der Inlandgletscher in den meisten Gebirgsregionen der Erde.
    • Als ebenso gravierend ist die Zunahme der Luftfeuchte als Folge der verstärkten Verdunstung anzusehen, da sie von entscheidendem Einfluss auf alle Niederschlags- und vertikalen Umlagerungsprozesse ist. Es ist deshalb nicht nur mit mehr Starkregen, Sturzfluten und Muren, sondern auch mit mehr Gewittern, Hagel- und Blitzschlägen sowie Tornados zu rechnen. Die tropischen Wirbelstürme - die Hurrikane, Taifune und Zyklone - können voraussichtlich nicht nur an Stärke zunehmen, sondern auch die Saison und die Regionen ihres Auftretens deutlich ausdehnen. Ebenso dürften die außertropischen Sturmtiefs, die sog. Winterstürme, stärker werden und, wie schon dargelegt, tiefer in die Kontinente vordringen.

    Ein global wärmeres Klima bedeutet, wie die Klimageschichte lehrt, generell mehr Niederschläge. Davon werden langfristig vor allem die gemäßigten und subpolaren Breiten profitieren, während die derzeitigen Kornkammern der Erde voraussichtlich unter vermehrten Dürren zu leiden haben werden. Auch wenn der steigende CO2-Gehalt der Atmosphäre die Wachstumsbedingungen der meisten Pflanzen verbessert und gleichzeitig ihren Wasserbedarf senkt, so überwiegen doch langfristig in vielen Ländern die negativen landwirtschaftlichen Auswirkungen, hauptsächlich wegen des erhöhten Hitze- und Trockenheitsstresses.
    Es ist keine Frage, dass die Menschheit das globale Experiment, das sie bisher völlig ziellos und unkontrolliert mit dem Klima veranstaltet, schnellstens unter Kontrolle bringen muss, wenn sie nicht riskieren will, späteren Generationen einen klimatisch aus dem Gleichgewicht geratenen Planeten zu hinterlassen.


    Maßnahmen

    Die Versicherungswirtschaft könnte sich nun im Vertrauen auf ihre außerordentliche Anpassungsfähigkeit an sich ändernde Risikoverhältnisse auf den Standpunkt zurückziehen, die Klimaänderung könne ihr relativ unwichtig sein. Vor einer solchen Haltung muss jedoch dringend gewarnt werden. Denn einerseits steht zu befürchten, dass sich im Zuge der Klimaänderung in fast allen Regionen der Erde neue Extremwerte einer Vielzahl von versicherungsrelevanten Kenngrößen einstellen werden, die zu Naturkatastrophen bisher ungekannter Stärke und Häufigkeit führen. Dies wird noch erheblich größere Kapazitätsprobleme auf den nationalen und internationalen Versicherungsmärkten auslösen, als sie in den letzten Jahren bereits beobachtet wurden. Bei falscher Einschätzung der Entwicklung könnte in einigen Regionen sogar die Zukunft der ganzen Branche auf dem Spiel stehen. Und auch das Prämienaufkommen würde in diesem Fall der Schadenentwicklung beständig hinterherhinken.
    Andererseits kann sich die Versicherungswirtschaft effektiv vor den Auswirkungen schützen und gleichzeitig einen wesentlichen Beitrag zur Durchsetzung von Klimaschutzmaßnahmen leisten. Sie hat nämlich wie kein anderer Wirtschaftssektor Motivierungsinstrumente zur Risikoverringerung zur Verfügung, allerdings nur dann, wenn sie ihre Kunden und auch die Behörden als Partner gewinnt. Wenn sie z.B. ihre Kunden davon überzeugen kann, dass eine substantielle Selbstbeteiligung in der Elementarschadenversicherung für beide Seiten von Vorteil ist, weil sie den Versicherer von der großen Masse von Bagatellschäden befreit, die viel effektiver vom Kunden selbst behoben werden, und weil sie einen wesentlich preiswerteren Versicherungsschutz ermöglicht, dann wird der Kunde viel lieber Schadenverhütungs- oder -minderungsmaßnahmen ergreifen. Wenn sie andererseits mit Blick auf drohende Schadenpotentiale bestimmte Gefahren oder Risikozonen von der Deckung ausschließt bzw. den Deckungsumfang stark limitiert, dann wird unweigerlich der Druck auf die Behörden wachsen, staatliche Maßnahmen zur Risikoverbesserung oder Ursachenbekämpfung zu ergreifen bzw. aus der staatlichen Fürsorgepflicht heraus das Risiko dem Staat selbst zu übertragen.


    Die Menschheit veranstaltet mit dem Klima der Erde ein gigantisches Experiment, über das sie bis heute praktisch keine Kontrolle hat und dessen Ausgang kaum abzuschätzen ist. Es könnte jedoch dramatische Auswirkungen auf die Lebensbedingungen künftiger Generationen haben. Selbst wenn sich manche Vorsichtsmaßnahme im Nachhinein als übertrieben herausstellen sollte, so lässt das Vorsorgeprinzip keine andere Wahl: Es muss mit allen Mitteln verhindert werden, dass sich - bildlich gesprochen - das Treibhausfenster weiter schließt.


    Literatur


    Berz, G.: Global Warming and the Insurance Industry; Interdisciplinary Science Reviews 18, Nr. 2, London, 1993.

    Berz, G.: Die Zeichen stehen auf Sturm; Naturwissenschaften 81, Nr. 1,
    Springer-Verlag, Berlin, 1994.

    Berz, G. & Loster, T.: Das zunehmende Naturkatastrophen-Risiko an der Schwelle zum
    21. Jahrhundert; in “EXPO 2000-Themenpark”, S. 412-421. Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover, 1997

    Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft: Jahresrückblick Naturkatastrophen 1995; Topics 1996, München, 1996; Topics 1997, München, 1997; Topics 1998, München, 1998

    Schönwiese, C.-D. et al.: Klimatrend-Atlas Europa 1891-1990;
    ZUF-Verlag, Frankfurt, 1993.

    Wagner, D.: Zur Abschätzung der Eintrittswahrscheinlichkeit rezenter und zukünftiger
    extremer Witterungsereignisse; Annalen der Meteorologie 31, Frankfurt, 1995.

    World Meteorological Organization: IPCC Second Assessment Report -
    Summaries for Policymakers; Cambridge University Press, Cambridge, 1995.


        www.am.rlp.de